Peter Weiss und das deutsche Inferno

Als sich nach 1945 in Deutschland die »Nachkriegsliteratur« herausbildete, lag ihr von vorn herein ein Ausschluss zu Grunde. Ton angebend waren Schriftsteller des »inneren Exils«, die den Nullpunkt beschworen und betonten, neue deutsche Traditionslinien müssten im Kontakt mit den Lebensbedingungen des Volkes begründet werden. Wer aus dem Exil kam - oder gar dort verblieb - hatte sich mit solcher Prämisse zu arrangieren, oder blieb Außenseiter. Die jüdische Perspektive war nicht vorgesehen. Erst seit kurzem sucht eine kleine Minderheit in der deutschen Literaturwissenschaft, solche Zusammenhänge aufzuklären. Um so interessanter ist ein neues, bislang unveröffentlichtes Stück des im Exil verbliebenen Autors Peter Weiss. Es belegt: Schon 1964, nach dem »Marat-Sade«-Erfolg in Deutschland plötzlich populär, war sich Weiss der Ausschlussmechanismen gegen jüdische Autoren höchst bewusst. Der Text »INFERNO« belegt zudem die zentrale Bedeutung, welche die Verfolgungserfahrung des emigrierten Juden für sein Schreiben hatte. Das vollständig ausgearbeitete Theaterstück war als Auftakt einer Trilogie geplant, in der Weiss in Anlehnung an Dantes mittelalterliche »Divina Commedia« ein Welttheater über die kapitalistischen Verhältnisse gestalten wollte. Im Laufe der Arbeit wurde aber immer mehr das deutsche Inferno zum Zentrum des Stücks. Darin kehrt der Dichter »Dante« in ein Land der Täter zurück, die auch ihn der Verbrennung zugedacht hatten. Die Tätergesellschaft nutzt die Schuldgefühle des Überlebenden zum Versuch, den Dichter einzugemeinden. Als Dante sich schließlich verweigert, zeigt die »INFERNO«-Gesellschaft ihre Macht in der Erneuerung der Vernichtungsdrohung - toleriert den Überlebenden dann allerdings zunächst doch gönnerhaft im Abseits. Das neu entdeckte INFERNO-Stück Peter Weiss spiegelt die Auseinandersetzung des Emigranten mit den deutschen Verhältnissen. Es zwingt zur Neubewertung etwa der »Ermittlung«, die als »PARADISO«-Teil der Trilogie konzipiert war: Nicht nur das Lager, sondern auch die Unvereinbarkeit von Täter- und Opferperspektive ist dort Thema. Auch kann »Die Ästhetik des Widerstands« nicht länger als ein Roman gelesen werden, der Linken im Engagement Heimat gebe, da in ihm letztlich die Heroisierung antifaschistischen Widerstands betrieben werde. Der genauere Blick zeigt vielmehr: Der Text ist ein Dokument des Scheiterns antifaschistischen Widerstands angesichts der Shoah.