Rimbaud - Die Suche nach einem ganz anderen Leben
Arthur Rimbaud (1854-1891), das jugendliche Dichter-Genie aus den Ardennen, gibt seinen Biographen und den Interpreten seiner Dichtungen und Briefe noch immer Rätsel auf. Auf seine ersten Wandlungen vom hoch begabten Musterschüler zum Ausreißer und Revolutionstouristen, zum Dichter und Poetologen, dann zum Hooligan und Landstreicher, folgten viele weitere. Nach dem Scheitern der Pariser Kommune und seines eigenen Projekts der magisch-poetischen Weltveränderung, nach Reise- und Wanderjahren, die ihn um die halbe Welt führten, machte er zwischen 26 und 36 "Karriere" als Kaufmann und Entdecker am Horn von Afrika. Er war ein Mann der multiplen Identitäten, der es liebte, seine Spuren zu verwischen und falsche Fährten zu legen. Das "Programm" dieses Lebens - die stets erneuerte Flucht aus "defizienten" Verhältnissen - hat er in seinen poetologischen Briefen aus dem Jahre 1871 formuliert: "Ich", das ist (oder wird alsbald) ein "Anderes". 100 Jahre nach David Hume, der das Ich zu einer Fiktion erklärte, 80 Jahre nach Fichte, der die Dialektik von Ich und Nichtich entfaltet hatte, und noch vor Nietzsche, der im Ich das Fremde sah, oder Ernst Mach, der es für "unrettbar" hielt, hatte ein 16jähriger Gymnasiast damit eine faszinierende Formel für Identitätsbehauptung und -auflösung gefunden, die ebenso wohl der Lebens- wie der Sozialgeschichte Rechnung trägt.