Anatomie der Folter jenseits der medialen und politischen Inszenierung
Carolin Emcke untersucht Abu Ghraib jenseits der bekannten Bilder und unternimmt eine strukturelle, politische Analyse der Geschehnisse. Auch wenn uns die auf digitalen Amateurfotos festgehaltenen Misshandlungen und sexuellen Demütigungen schockieren, geraten darüber die Verbrechen, die nicht zu sehen waren, allzu leicht ins Vergessen. Während die Bilder von Abu Ghraib als exemplarisch für die Ikonografie der Folter und deren Inszenierung analysiert wurden, muss auch jenes Abu Ghraib zur Sprache kommen, das sich in den Bildern nicht wiederfindet, jedoch ausführlich in zahllosen protokollierten Aussagen ehemaliger Häftlinge dokumentiert ist. Folter zerstört das elementare Grundvertrauen der Opfer zu anderen Menschen und die Menschenwürde. Die Folterbilder zeigen, dass es bei der Folter niemals um eine „Wahrheitsfindung“ geht, sondern um Machtdemonstration und die Demütigung eingebildeter oder echter Gegner. Der Vortrag stellt das politische System dar, das diese Geschehnisse ermöglicht, mit seinen geheimen Memos, offiziellen Anordnungen, den privaten Firmen, den internationalen Söldnern, der Mischung aus Ordnung und Anarchie, den beabsichtigten Phasen kontrollierter und orgiastischer Gewalt, der Verunsicherung durch den Wechsel von Hierarchie und Chaos, von Anordnungen und Planlosigkeit.