Der Antiimperialismus ist offenkundig tot, aber hat auch der Imperialismus abgedankt? Hat die Globalisierung multinationalen Unternehmen zur Macht verholfen und das alte Bündnis von Staat und Kapital aufgelöst? Hat die kapitalistische Welt die Form eines einzigen Empires angenommen? Sind die USA immer noch der Hegemon der Weltordnung oder hat sich der Kapitalismus mit seinen indischen und chinesischen Varianten dezentralisiert? Wie muss das Verhältnis von „globalem Norden“ und „globalem Süden“ gefasst werden angesichts der Klimazerstörung? Und wie lässt sich vor dem Hintergrund der globalen Migration das Fortleben des Kolonialismus verstehen? Die aktuellen Kämpfe wie in Chile, im Sudan und Libanon, aber auch die enttäuschten Hoffnungen, die der Arabische Frühling, die Occupy-Bewegungen sowie die lateinamerikanischen und griechischen Linksregierungen weckten, veranlassen uns, über die internationalen Verflechtungen von Politik, Ökonomie und Kultur neu nachzudenken.

Doch die Traditionen, auf die sich dieses Denken beziehen könnte, lassen sich nicht einfach verbinden. Oft ist es bereits schwer, ihre Sprachen zu übersetzen. Ist die Ordnung kolonial, imperial oder postkolonial? Brauchen wir eine Internationale, Antinationale oder Terrestriale, Antikolonialismus, Antiimperialismus oder Dekolonisierung? Vor allem stehen die kritischen Traditionen – die Kritik des Kapitalismus, des Imperialismus, des Kolonialismus – nur in losen Beziehungen. Sie haben unterschiedliche Paradigmen, beziehen sich auf unterschiedliche Zeiten und Methoden, rücken eher die Ökonomie, Kultur oder Politik in den Vordergrund. Sie situieren sich entweder in Europa und Nordamerika, oder in Afrika und Südostasien oder in Latein- und Südamerika.

Möglichkeiten, gemeinsame Perspektiven zu entwickeln, hat es reichlich gegeben. Die 1919 gegründete Komintern rief in ihrem Gründungsmanifest zum globalen Kampf gegen Kolonialismus und Imperialismus auf. Der antikoloniale Kampf in den Peripherien galt als ein notwendiger Beitrag zur Weltrevolution. Doch mit dem Scheitern der Russischen Revolution wurden die antikolonialen Befreiungsversuche dem Erhalt des Sowjetstaates untergeordnet. Die antikolonialen Bewegungen verkamen zur „nationalen Befreiung“, so dass die in der Kolonialzeit entstandenen Staaten postkolonial fortbestanden. Der Antiimperialismus scheiterte mit dem Kommunismus des 20. Jahrhunderts am Nationalismus und inkonsequenten Universalismus.

Daran war bereits die bürgerliche Revolution gescheitert. Die Versklavten von Saint- Domingue erkannten das universelle Emanzipationsversprechen der Französischen Revolution und befreiten sich 1805 von Sklaverei und Kolonialismus. Sie trieben die Französische Revolution über deren Grenzen hinaus. Die siegreichen Revolutionärinnen konfrontierten die Welt mit einem antikolonialen politischen Subjekt, das dem bürgerlichen, westlichen Universalismus seine rassistische und klassistische Beschränktheit vorführte. Deshalb wurde die Haitische Revolution so unerbittlich bekämpft und von den Historikerinnen im 20. Jahrhundert beschwiegen. Sie gehört, ausgehend von der 1938 veröffentlichten Analyse von C. L. R. James, zum häretischen Erbe, das wir für einen neuen antiimperialistischen Kommunismus bergen können. Zu ihm gehören auch zahlreiche Vertreterinnen der Négritude-Strömung wie Aimé Césaire, Frantz Fanon oder Léopold Sedar Senghor. Sie standen nicht nur lange Zeit den kommunistischen Parteien nahe, sondern beeinflussten auch die Entstehung der Neuen Linken in den Metropolen.

Doch diese Strömungen blieben oft unverbunden. Als sich Adorno und C.L.R. James während des Zweiten Weltkrieges in New York trafen, hatten sich die zwei marxistischen Denker wenig zu sagen. Dabei teilten die Kritische Theorie und der Schwarze Marxismus eine ähnliche Denkbewegung. Adorno kritisierte den Universalismus des westlichen kapitalistischen Denkens bis ins Letzte, ohne ihn schlechterdings aufzugeben oder gar Nationalismus und Essentialismus die Hand zu reichen. Er öffnete den Horizont für Differenzen – traf sich dort aber nicht mit James, der in der Haitianischen Revolution die Geburt eines weiteren proletarischen, antikolonialen Akteurs beschrieben hatte. James hielt dem westlichen Universalismus den antikolonialen Spiegel vor und machte den europäischen und kapitalistischen Partikularismus sichtbar. Adorno aber blieb auf dem antikolonialen Auge blind. Was eine Vereinigung häretischer Marxismen hätte werden können, blieb eine flüchtige Begegnung.

Doch auch einige gegenwärtige Befreiungsbewegungen erproben aufgrund der Erfahrung ihrer Vorgängerinnen mit Nationalismus und autoritärem Sozialismus neue Strategien. Die Zapatistinnen in Chiapas wie die Kurdinnen Rojavas sind am bekanntesten. Fast unbekannt dagegen ist die 1984 gegründete FLNKS (Front de Libération Nationale Kanak et Socialiste), obwohl sie Ende der 80er Jahre die Kontinuität des französischen Imperialismus/Kolonialismus deutlich machte. Wie die Zapatistinnen und bereits Luxemburg und Mariategui verbindet dieses politische Bündnis die Ideen urkommunistischer Lebensweisen mit einem modernen Sozialismus. Ein Mitglied der FLNKS formulierte es 2018 so: „Die Verteidigung unserer Rechte gelingt nur über die Öffnung zum Universalismus, zu dem wir gehören. Wenn wir ihn ignorieren, verlieren wir unsere eigenen Werte.“ Sind solche Kämpfe Modelle, das Regionale mit dem Globalen, das Partikulare mit dem Universalen zu versöhnen?

An dieser Aufgabe ist die Linke in den Metropolen historisch gescheitert. In Deutschland war es die Sozialdemokratie, die sich als erste Partei zum Internationalismus bekannte. Doch nicht zufällig spaltete sie sich an der Frage des Imperialismus und der Beteiligung am Ersten Weltkrieg. Die Mehrheit kapitulierte vor dem Nationalismus. Luxemburg wie auch Lenin erkannten, dass dieses Scheitern der Sozialdemokratie auch damit zusammenhing, dass Teile des Proletariats der Metropolen von der imperialen Lebensweise profitierten. Dieser Gedanke ist bis heute aktuell geblieben. Reichtum, Lebenschancen, Müll sind global ungleich verteilt. Das ordnende Prinzip dieser ungleichen Verteilung liegt im Zusammenspiel von Staaten und Klassen, Geschlechtern und „race“. Die Gesellschaften des „globalen Südens“ wie die des Nordens sind Klassengesellschaften, durch sexistische Ungleichheit und ethnische Ausgrenzung geprägt. Der „globale Süden“ ist unterdrückt und unterdrückerisch. In den letzten Jahrzehnten hat die „Dritte Welt“ in den Metropolen Einzug gehalten. Zugleich zeigen die globalen Wertschöpfungsketten ein drastisches Ungleichgewicht. Egal ob Kleidung, Kaffee oder Smartphone: nur ein Bruchteil des Endpreises wird in den produzierenden Ländern realisiert – und dort zwischen Arbeiterinnen, Kapital und Staat ungleich aufgeteilt.

Dieser ökonomisch-politische Zusammenhang braucht ideologische Grundlagen. Schon immer benötigte es eine gewisse „Kälte des bürgerlichen Subjektes“ (Adorno), um sich trotz allen Wissens im weißen Wohlstand wohl zu fühlen. Und vor allem braucht es den Rassismus, der sich mit zunehmenden Krisentendenzen wieder offener und brutaler artikuliert. Wie funktioniert heute dieses Zusammenspiel von Ideologie, kultureller Produktion, globaler Ökonomie und staatlicher Ordnung der Welt? Und wie reagiert es auf Machtverschiebungen? Der imperiale Kapitalismus ist weiterhin angetrieben vom alten Hunger nach Rohstoffen, Arbeitskräften und neuem Land. Doch was passiert, wenn sich die alte imperiale Weltordnung kolonialer Herrschaft in eine Vielfalt postkolonialer Ausbeutungs- und Machtbeziehungen transformiert? Stehen wir vor zwei Optionen? Ist ein aggressiver Nationalismus, die Abschottungspolitik Europas, das hartnäckige Ignorieren der Klimakrise und ein persistierender Rassismus und Anti-Feminismus der Weg der herrschenden Klassen, die letzten Tage der Menschheit einzuläuten? Erleben wir eine neue Metamorphose der globalen kapitalistischen Produktion und Reproduktion in Form eines „Green New Deal“? Oder gibt es ein Anderes, das nur zu entfalten sein wird, wenn wir die Blickwinkel ändern? Die Welt sieht anders aus, wenn wir sie von den Peripherien aus betrachten.

Creole Constellations. Colonialism, Imperialism, Internationalism

Anti-imperialism is clearly dead, but has imperialism served its time as well? Has globalization helped multi-national corporations come to power and dissolve the former alliance of state and capital? Has the capitalist world taken on the form of a sole empire? Is the US still the hegemon of the world order or has capitalism with its Indian and Chinese variants decentralized itself? How should one conceive the relationship of "global north" and "global south" in the light of climate change? And how can we understand the ongoing existence of colonialism against the backdrop of global migration? The current struggles in Chile, in Sudan and Lebanon, as much as the disenchanted hopes, which were sparked by the Arab Spring, the Occupy movements, and the leftist governments in Latin America and Greece, prompt us to think the international links between politics, economy and culture anew.

The traditions, however, which such thought could bear on, do no that easily consolidate. Often it is difficult enough to translate their languages. Is the order colonial, imperial or post-colonial? Is it another International, an Antinational or a Terrestrial, is it anti-colonialism, anti-imperialism or decolonization we need? The critical traditions in particular – critiques of capitalism, of imperialism, of colonialism – merely keep loose ties. They have different paradigms, they relate to different times or methods and foreground either the economy, culture or politics. They situate themselves either in Europe or North America, or in Africa and South East Asia or in Latin and South America.

There have been plenty of opportunities to develop shared perspectives. In their founding manifesto from 1919 the Comintern called for a global fight against colonialism and imperialism. The anti-colonial struggle in the peripheries was an essential contribution to the world revolution. But as the Russian revolution failed, the anti-colonial liberation efforts were subordinated to the maintenance of the Soviet state. The anti-colonial movements dwindled into a "national liberation", with the result that the states, which were founded during the colonial times, subsisted to be post-colonial. Anti-imperialism fell with 20th century's communism and failed because of nationalism and an inconsistent universalism.

The bourgeois revolution had already failed for the same reasons. The slaves from Saint-Domingue saw the universal promise for emancipation of the French revolution and liberated themselves from slavery and colonialism in 1805. They took the French revolution beyond its own borders. The victorious revolutionaries confronted the world with an anti-colonial political subject, which made bourgeois, western universalism face its racist and classist stupidity. Hence the Haitian revolution was remorselessly fought against and hushed up by the historians of the 20th century. Beginning with the analysis of C.L.R. James, published in 1938, the Haitian revolution belongs to a heretic legacy, which we can salvage for a new anti-imperialist communism. A legacy that also includes several representatives of the Négritude movement such as Aimé Césaire, Frantz Fanon or Léopold Sedar Senghor. They were not only affiliated with the communist parties for a long time, but they were also influential for the emergence of the New Left in the metropolises.

These movements, however, often remained unconnected. When Adorno and C.L.R. James met during the Second World War in New York, they had little to say to one another. And yet critical theory and black Marxism shared a kindred movement of thought. Adorno criticized the universalism of western, capitalist thought to the utmost, without simply renouncing it or even flirting with nationalism or essentialism. He opened the horizon up for differences – a point where he differed from James, who construed the Haitian revolution as the birth of another proletarian and anti-colonial agent. James held the anti-colonial mirror up to western universalism and revealed the European and capitalist particularism. However, Adorno remained blind on the anti-colonial eye. What could have been a consolidation of heretic Marxisms, remained to be a brief encounter.

But also some current liberation movements are testing new strategies due to their predecessors' experience of nationalism and authoritarian socialism. The most known being the Zapatistas in Chiapas and the Kurds in Rojava. On the other hand the FLNKS (Front de Libération Nationale Kanak et Socialiste), which was founded in 1984, is hardly known, even though they pointed out the continuity of French imperialism/colonialism in the late 1980s. Alike the Zapatistas and before that Luxemburg and Mariategui, this political group conflates the ideas of primitive communist ways of living and modern socialism. In 2008 a member of the FLNKS phrased it in the following words: "We can only defend our rights by opening up toward universalism, which we belong to. If we ignore it, we lose our very own values." Are such struggles models for reconciling the regional with the global, the particular with the universal?

The left in the metropolises has historically failed because of this task. In Germany social democracy was the first party to confess to internationalism. But it was not by chance that it was torn apart about the question of imperialism and participation in the First World War. The majority surrendered to nationalism. Luxemburg as much as Lenin realized that this failure of social democracy was linked to the fact that parts of the metropolitan proletariat were benefitting from the imperial way of living. Up until today this thought is still relevant. Wealth, chances in life and refuse are distributed unequally globally. The structuring principle of this uneven distribution lies at the interplay of states and classes, genders and "race". The societies of the "global south" as much those of the north are class societies ­­– characterized by sexist inequality and ethnic marginalization. The "global south" is oppressed and oppressing. In the last decades the "third world" has found its way into the metropolises. At the same time the global value chains reveal a drastic imbalance. Whether it is clothing, coffee or smartphones: just a fraction of the final price is converted into money in the productive countries – and is split unequally between the labourers, capital and the state.

This politico-economic nexus requires ideological basics. A certain "coldness of the bourgeois subject" was always needed to feel good about white wealth despite actually knowing better. And even more so it needs racism, which once again shows itself more open and brutal with increasing tendencies of crises. How does this complicity of ideology, cultural production, global economy and an order of the world based on states, operate nowadays? And how does it react to shifts of power? Imperial capitalism is still driven by the old hunger for resources, labour power and new land. But what happens if the old imperial world order of colonial domination transforms into a multiplicity of post-colonial exploitation and power relations? Are we facing two options? Is Europe's closed-door policy, an aggressive nationalism, the stubborn ignorance of climate change and a persisting racism and anti-feminism, the method of the ruling classes to herald the end of humanity? Are we experiencing a new metamorphosis of global capitalist production and reproduction in the form of a "Green New Deal"? Or is there something else, which merely needs to be unfolded, if we change our points of view? The world looks different when we look at it from the peripheries.