Melancholie des Exils
Wer ins Exil geht, verliert etwas. Flüchtlinge müssen Angehörige verlassen und Perspektiven aufgeben, ohne sie auf dem Wege der Trauer ersetzen zu können. Das Exil trennt sie von dem, worauf sie in ihrer Melancholie fixiert bleiben. Diese Melancholie des Exils steht quer zu den Gewinn- und Verlustrechnungen einer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft und entzieht sich den Zumutungen staatlicher Identitätspolitik. Wo Verluste nicht mehr im Namen neuer Gewinne betrauert werden können, verflüchtigt sich das Konzept eines ebenso autonomen wie flexiblen Subjekts und hinterlässt im konstitutiven Bruch zwischen Ort und Identität. Der Vortrag konfrontiert die Überlebensschuld der NS-Verfolgten mit der deutschen »Unfähigkeit zu trauern« und erörtert im Anschluss an Judith Butler und Emannuel Lévinas die Möglichkeiten einer staatskritischen Subjektivierung der Exilerfahrung. Im Zentrum steht die Frage, wo sich die Erfahrungen von Flüchtlingen und Staatsbürgern jenseits postpolitischer Kontrollregime kreuzen.