Millionen waren es weltweit, die sich Kommunisten nannten, Militante, Parteimitglieder, Wähler oder Gesinnungsfreunde. Heute sind die meisten von ihnen verstummt und ihre Geschichte ist aus dem Gedächtnis gelöscht. Es gibt keinen Kommunismus mehr, der Antikommunismus aber wütet noch immer und zwar nicht als rationales Konzept sondern als Schimpfwort und nicht als Sache sondern als Aggression. Warum das alles? Ist dieser hohle Antikommunismus nicht vielleicht Angst? Warum hat man Angst? Und wovor? Aus: Vittorio Foa, Miriam Mafai, Alfredo Reichlin, „Il silenzio dei comunisti“, übersetzt von Eberhard Spreng und Francesca Spinazzi.
Seit das Gespenst des Kommunismus umgeht, haben sich die herrschenden Mächte zu einer Hetzjagd verbündet. Der Antikommunismus war geboren und machte sich ideologisch wie praktisch auf, die Idee des Kommunismus aus den Köpfen der Sklav_innen, Lohnarbeiter_innen, prekär Beschäftigten, Intellektuellen, Sozialhilfeempfänger_innen, Unangepassten und global „Überflüssigen“ zu vertreiben. Während die Kommunist_innen die Revolution imaginierten, debattierten und realisierten, taten ihre Feinde alles, diese zu verhindern und bereits Ansätze einer kommunistischen Gesellschaft zu zerschlagen. Und doch redet niemand vom Antikommunismus. Obwohl eine der wirkungsmächtigsten Ideologien des 20. Jahrhunderts, ist er kaum erforscht. Die Monographien, Aufsätze und Sammelbände, die Symposien, Konferenzen und Ausstellungen, die Demonstrationen, Petitionen und Kundgebungen zum Antikommunismus lassen sich an einer Hand aufzählen. Elemente und Ursprünge, Struktur und Wirkung des Antikommunismus sind – auch unter Linken – wenig bekannt. Reden wir vom Antikommunismus!
Doch für die Diskreditierung des Kommunismus hätte es den Antikommunismus nicht gebraucht. Dies haben die Kommunist_innen selbst bewältigt. Sagen wir es deutlich: nichts hat der kommunistischen Idee so sehr geschadet wie die gescheiterten Versuche ihrer Realisierung. Trotz Stalinismus und Staatssozialismus blieben Widerstand und Emanzipation lebendig, unabhängig davon, ob sie sich als kommunistisch verstanden oder nicht. Auch gegen sie richtet sich der Antikommunismus.
Erforschen wir also den Antikommunismus: Er ist der ideologische Panzer, den das Bürgertum um seine Produktionsverhältnisse herum schmiedet. Er dient dem Schutz des Privateigentums und der Ausbeutungsverhältnisse gegen deren Feinde und jegliche Ideen von solidarischen Formen der Vergesellschaftung. Dabei folgt er der Maxime, wonach die beste Verteidigung im Angriff besteht: in der Verleugnung, Verunglimpfung und Ermordung von Kommunist_innen – und vermeintlichen Kommunist_innen. Der Antikommunismus sichert über ein Feindbild das eigene kollektive Selbstbild (als Demokraten, als Westen ...) ab. Dies wurde in der realpolitischen Konfrontation des Westens mit dem Realsozialismus am deutlichsten. Im Kalten Krieg trat der Antikommunismus als Garant für Individualismus, Freiheit, Familie und Tradition auf und kämpfte in deren Namen gegen einen äußeren wie inneren Feind. Ist mit dem Untergang des Realsozialismus und dem Triumph des Neoliberalismus auch der ideologische Kitt für die kapitalistischen Gesellschaften verschwunden oder wird er auf andere äußere und innere Feinde übertragen? Was passiert mit einer Gesellschaft, deren jahrzehntelange kohärente Ideologie von einem auf den anderen Tag verloren geht, weil ihr Feindbild sich auflöst? Verschwindet diese einfach oder dienen ihre Tickets und ihre Strukturelemente neuen und anderen Feindbildern, die es ermöglichen, das Regime der Angst aufrechtzuerhalten? Aktuellstes Beispiel hierfür ist der erstarkte islamfeindliche Diskurs, der in der Gegenüberstellung von Orient und Okzident erneut einen Ost-West-Gegensatz konstruiert.
Der Antikommunismus ist so fluide wie komplex, so wandelbar wie beharrlich. Es gibt mehr als einen. Es gibt Antikommunismen: Feudalistische und monarchistische, liberale und neoliberale, faschistische und nationalsozialistische, christliche und islamistische, sowie nicht zuletzt sozialdemokratische. Antikommunismen richten sich gegen die Gemeinschaft der Freien und Gleichen, gegen die solidarische Assoziation, gegen die Bewegung, die den hässlichen Zustand Kapitalismus aufhebt, gegen Kommunismus. Aber sie gehen weit darüber hinaus. Sie bekämpfen (wie Friedrich Hayek, Margaret Thatcher, Milton Friedman u. a.) die Idee der Gestaltung von solidarischer Gesellschaft überhaupt. Sie verdammen (wie Edmund Burke, diverse Monarchist_innen, Faschist_innen und Nationalsozialist_innen) die Ideen der Aufklärung, die Universalität des Rechts, die Gleichheit im Allgemeinen und die Gleichheit von Geschlechtern im Besonderen. Sie verteidigen Eigentum, Arbeit und Besitz, Familie, Nation und Polizei, die Klassengesellschaft und den strafenden Staat.
In seiner blutigen Geschichte verband sich der Antikommunismus nicht zuletzt mit der Ideologie und Weltanschauung des Antisemitismus. Antisemitismus und Antikommunismus verbündeten sich im Kampf gegen den Klassenkampf. Hinter Aufklärung und Kritik, hinter der Französischen und Russischen Revolution, hinter Sozialdemokratie und Kommunismus entdeckten sie den „jüdischen Verschwörer“ gegen Tradition, Familie, Volk und Rasse. Im „jüdischen Bolschewismus“ schufen sie ein Feindbild, das den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und den Massenmord an Jüd_innen legitimierte. Wie sich Antisemitismus und Antikommunismus seit dem 19. Jahrhundert zu einem der konstantesten und wirkungsmächtigsten Feindbilder synthetisierten, ist eine der Schlüsselfragen zum Verständnis des Antikommunismus.
Da der Realsozialismus kläglich unterging, scheint die Ideologie des Antikommunismus nicht mehr so mächtig zu sein. Doch heute besitzt der Antikommunismus seine größte Wirkungsmacht im Antitotalitarismus, in der Gleichsetzung von Faschismus und Sozialismus, von Nationalsozialismus und Bolschewismus. Er stabilisiert krisengeschüttelte Gesellschaften, indem er ihre Vergangenheit als totalitär und beendet, ihre Gegenwart aber als ewig erklärt. Geschichtspolitisch reinigt er so auch den Antifaschismus vom Kommunismus, obwohl der Antifaschismus wesentlich kommunistisch geprägt war. Diese Erinnerungspolitik lässt sich pointiert in den Ländern Osteuropas beobachten. Enzo Traverso stellt fest, dass mit dem Verschwinden des Marxismus und des kommunistischen Zukunftsversprechens nur noch an Opfer und Totalitarismus gedacht wird und uns somit die Erinnerung an Besiegte, an Widerstand und Scheitern abhanden kam.
Der Antikommunismus ist die Ideologie der totalen Herrschaft des Kapitalismus. Antikommunismus ist ein Regime der Angst. Die Abschaffung der Angst in solidarischer Gestaltung der Gesellschaft wäre Kommunismus.
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