»Das Fremde ist das Vertraute.« Sigmund Freud
Nach dem Ende einer gottgegebenen Welt entstanden mit der Philosophie der Aufklärung rassistische Theorien, die soziale und gesellschaftliche Unterschiede als naturgegebene verklärten. Xenophobie, Rassismus und Antisemitismus entwickeln und verändern sich mit der kapitalistischen Gesellschaft. Die Überwindung des Rassismus nach dem Nationalsozialismus gehörte zu den Gründungsmythen beider deutscher Staaten. In der BRD werden die Wahlen seit 1969 mit rassistischen Themen bestritten.
Seit Anfang der 70er Jahre versuchen die europäischen Einwanderungsländer die Wanderbewegungen zu stoppen, was ihnen kaum gelang. Die Einwanderer, die es trotzdem schafften, sind seit den 80er Jahren die Geiseln einer Gesellschaft in der Krise. Zwar hat sich die Struktur der Einwanderung nach Europa verändert - statt »Gastarbeitern« kommen Familiennachzügler, Flüchtlinge und WanderarbeiterInnen - die Einwanderungszahlen bleiben aber konstant. Die in den 60er Jahren in ihren Heimatländern angeworbenen Arbeitskräfte werden zunächst staatsoffiziell als Gastarbeiter - ein Euphemismus mit Anklängen an den Begriff der Fremdarbeiter unter dem NS - bezeichnet. Der Migrationsprozeß und seine Folgen - dauerhafte Niederlassung von Einwanderern - werden oft bis heute geleugnet. (»Deutschland ist kein Einwanderungsland.«) Im Zuge von aufklärerischen Kampagnen gegen sogenannte Fremdenfeindlichkeit setzt sich - v.a. dank eines ethnisierenden Multikulturalismusbegriffs bei den Grünen - die Zuschreibung von ethnisch oder religiös konnotierten Identitäten durch. Diese Identitäten werden, wie häufig bei ausgegrenzten Minderheiten, auch positiv angenommen und als Ausweg aus der gesellschaftlichen Randposition gesehen. Seit den 80er Jahren geht der ethnische Multikulturalismus jedoch bewußte und unbewußte Allianzen mit der traditionellen völkischen Position ein. Was in der Neuen Rechten als Ethnopluralismus propagiert wurde, findet sich jetzt in der Mitte der Gesellschaft. Nicht die Migranten, die Gesellschaft und der Staat prägen den Diskurs über Integration, Ausgrenzung und Zuordnung von Minderheiten. Der institutionalisierte Rassismus deutscher Behörden im Aufenthalts-, Ausländer- und Sozialrecht bemüht sich, daß die Fremden Fremde bleiben und als Fremde behandelt werden. Diese machtgestützte Diskursformation beeinflußt entscheidend sowohl die Bedingungen der Transmigration, der Weiterwanderung, der Selbstethnisierung als auch der Assimilation und der Integration. Die Fragestellung »Wie wird man Fremder?« steht deshalb im Mittelpunkt unserer Veranstaltungsreihe.
Ob man sich nur als derjenige wehren kann, als der man angegriffen wird (Hannah Arendt), ob Identität als Ergebnis von machtvollen Diskursen und staatlichen Praktiken positiv gewendet, subvertiert, destruiert oder ( von welcher Position aus?) kritisiert werden kann, ist auch Gegenstand dieser Reihe.
In der bürgerlichen Revolution von 1789 veränderte sich das Bild des Fremden. Von nun an ist fremd, wer nicht zu Staat und Nation gehört. Die Bezeichnung Fremder unterscheidet zwischen einem homogenen Innen und einem Außen. Aus der Aufteilung in Menschheit und Barbaren, Christen und Heiden wird die Gegenüberstellung von Einheimischen und Fremden. Die Bildung von Nationen schafft Fremde, denn Nationalstaaten bestimmen ihre Grenzen nach außen und nach innen. Wie diese Grenzziehungen verlaufen und die Situation in- und ausländischer Fremder aussieht, will unsere dritte Veranstaltungsreihe in historischer, zeitgenössischer, sozialpsychologischer, philsophischer, sozialer und politischer Hinsicht untersuchen.
Der Ausgangspunkt unserer Untersuchungen ist die Erkenntnis, daß das konkrete Verhältnis zu Fremden vom Selbstverständnis der Individuen und der Gesellschaft abhängen, d. h. das nationale Selbstbild und die Geschichte einer jeden Nation prägen das Bild ihrer Migranten. Dieses Fremdbild setzt sich aus einer Mischung des realen und des imaginären Fremden zusammen und belebt Grenzziehungsprozesse. Wer als fremd definiert wird, läßt Schlüsse über das gesellschaftliche Unbewußte, seine Ängste, Abgrenzungen und Phobien zu. Fremde eignen sich hervorragend als Objekte diverser Phobien. Xenophobie und Rassismus sind Rationalisierungsversuche von Ausschlußmechanismen, die Sigmud Freud als individuelle Regression und Projektionsmechanismen analysierte. Das Bild des »Juden« gilt als klassisches Prototyp des Fremden. Obgleich Xenophobie und Antisemitismus viele gemeinsame Elemente aufweisen, gilt es doch beides zu unterscheiden und die antisemitische Dimension von Fremdbildern gesondert zu untersuchen.
Die Ausschlußmaschine der europäischen Gesellschaft funktioniert nach außen und nach innen. Im Innern sind es vor allem die Illegalen, die gesellschaftlich marginalisiert werden und kaum eine Chance auf Arbeit, Wohnung und Papiere haben. In diesem Zusammenhang bekommen Fremdenbilder eine Funktion in der engen nationalstaatlichen und der nationalstaatlich-europäischen Konzeption. Ob eine sich herausbildende europäische nationale Identität die einzelnen kleinstaatlichen Nationalismen und Rassismen ersetzt, ist eine unserer Fragestellungen.
In Deutschland spielt - mehr als in anderen europäischen Staaten - die völkische Ethnizität eine wichtige Rolle. Eine kulturelle Anpassung wird staatlicherseits nicht mehr in dem Maße erwartet wie zuvor, gefordert wird eine segmentierte Assimilation. MigrantInnen sollen sich nicht mehr unbedingt an eine eingebildete homogene nationale Gemeinschaft anpassen, sondern in einigen gesellschaftlichen Teilbereichen, wie auf dem Arbeitsmarkt und der Kulturindustrie den jeweiligen Verwertungsbedingungen entspechen. Ein weiterer Untersuchungsgegenstand soll die Bedeutung der »Klassen- bzw. Geschlechterfrage« für die Herausbildung von Fremden sein. Die Grenzlinien nach außen wollen illegale Einwanderung verhindern und zeichnen ein Propagandabild imaginierter Fremder. Der zeitgenössische Fremde ist nicht mehr an einen bestimmten Ort gebunden. Er ist überall. Die unterschiedlichen Formen des Fremdseins bieten auch gerne eine Projektionsfläche für eine emanzipatorische Verklärung unfreiwilliger Nomadologie in verschiedenen kulturtheoretischen Ansätzen, die daraufhin untersucht werden.