Ist die ökologische Krise eine Krise des Kapitalismus? Muss Kapitalismuskritik ökologisch erneuert werden und kann der linksradikale Widerspruch zum Kapitalismus als Ganzem ökologisch formuliert werden? Oder wäre es angesichts einer reformistischen, dem Kapital kompatiblen Umweltschutzpolitik nicht angemessener, Ideologiekritik dieser kapitalistischen Ökologie im Allgemeinen und der Umweltschutzbewegungen im Besonderen zu betreiben? Wäre die ökologische Frage als solche zu kritisieren, anstatt eine linksradikale Ökologie entwickeln zu wollen? All diesen Fragen gehen grundlegendere voraus: Was ist überhaupt Natur? Wie sind verschiedene Naturbegriffe konzeptualisiert? Wie wird das Verhältnis Mensch-Natur gedacht?

Ein Zusammenhang zwischen ökologischer und sozialer Frage ist offensichtlich. Die ökologischen Auswirkungen der Globalisierung sind weltweit ungleich verteilt. Naturkatastrophen, hervorgerufen durch die Zerstörung des Weltökosystems, treffen insbesondere arme Menschen in der sogenannten Dritten Welt die bereits für die Kapitalisierung des Westens zu bezahlen hatten und es weiterhin tun. Das Diktum Sartres, dass es Naturkatastrophen gar nicht gebe, bringt den Zusammenhang von gesellschaftlich produzierter Natur und daher gesellschaftlich zu verantwortender Katastrophe auf den Punkt. In weiten Teilen der Welt scheint der offene oder latente Bürgerkrieg als Verteilungskampf um knapper werdende Ressourcen zum Dauerzustand geworden zu sein. Sofern es sich um weltmarktfähige Rohstoffe handelt, wird er vom globalen Kampf um den Zugriff auf diese Ressourcen befeuert. Auch ein New Green Capitalism, der von Solarkraftwerken in der Sahara träumt, wird den Globus in ausbeutbare Einflusssphären und kontrollierbare Sicherheitszonen aufteilen. Dieser Prozess zerstört Menschen wie Natur und droht in einem Kollaps des Ökosystems zu enden. Dass damit auch die Grundlage des Kapitalismus entfiele, ist nur ein schlechter Trost – aber ein Hinweis, dass ein systemimmanentes Interesse existieren muss, dieser Entwicklung zu begegnen.

Dass Staat und Kapitalismus dazu imstande sind, zeigt die Marx’sche Analyse der staatlichen Fabrikgesetzgebung im 19. Jahrhundert: Um die Akkumulation des Kapitals als solche nicht durch die völlige Erschöpfung und einen wachsenden Widerstand der Arbeiter zu gefährden, wurde ihre schrankenlose Ausbeutung reformerisch begrenzt. Mit dem gleichen Interesse werden ökologische Reformen realisiert – aber nur genau so weit, wie der Kapitalismus Natur und Menschen benötigt.

Der New Green Capitalism beansprucht, zwei fundamentale Probleme reformerisch zu lösen: die ökologische und die soziale Frage. Durch »nachhaltiges Wirtschaften« mit neuen »weichen« Technologien soll der Umwelt Genüge getan werden und die Reproduktion des Kapitals derart in Schwung kommen, dass der Bedarf an Arbeitskräften massiv wächst – eine von affirmativen technologiegläubigen Phantasien begleitete neue Strategie der Kapitalakkumulation. Wenn der New Green Capitalism – ob er sich nun wirtschaftsliberal oder sozialdemokratisch gibt – nach Früh- und Hochkapitalismus, Imperialismus, Fordismus und Postfordismus »nur« eine neue Phase der erweiterten Reproduktion des Kapitals ist, würde seine »grüne« Fassade lediglich den Blick auf den kapitalistischen Herrschaftszusammenhang verstellen und dessen Reproduktion flankieren. Aber greift diese linke Kritik nicht zu kurz, wo doch auch ihre Naturerkenntnis eine Konstruktion von Natur als Erkenntnisobjekt voraussetzt?

Auch wenn der Kapitalismus seine Voraussetzungen – Mensch und Natur – letztlich unterminiert, so produziert er sie doch zugleich. Der Wald, der unter saurem Regen leidet, ist ein nach menschlichen Intentionen hergestellter Wald. Eine von Menschenhand gezüchtete Turbo-Kuh könnte keine drei Tage allein überleben. Wir leben inmitten von Natur-Artefakten, die ihre Formen und Funktionen durch menschliche Einwirkung und Interpretationen erhielten. In der so gesellschaftlich konstituierten Natur steckt das instrumentelle Moment dieser Beziehung. Die menschliche Gattung, so Marx, konstituiert sich durch Arbeit, d. h. durch einen gesellschaftlichen Interessen folgenden Umgang mit der Natur. Natur muss letztlich zwingend unter dem Imperativ menschlicher Selbsterhaltung gestaltet werden, weil die Menschen Leib sind, Teil der Natur – der aber historisch aus der Natur heraustreten und sich dieser arbeitend entgegen setzen konnte. Damit sind äußere wie innere Natur nicht mehr bloße Natur, sondern wandelbares Resultat gesellschaftsgeschichtlicher Formationsprozesse. Die Natur des Kapitalismus ist als historisch-konkrete kein dem Menschen völlig äußerliches Objekt, sondern eine von ihm selbst mit erschaffene Welt, die er folglich affirmieren oder revolutionieren kann.

Der herrschenden Ideologie wie der linken Kritik unterliegt philosophisch betrachtet das fundamentale Problem der Unterscheidung zwischen Natur und Kultur, zwischen Natur und Gesellschaft, zwischen Natur und Mensch. Zu Beginn der Aufklärung hat René Descartes Natur und Mensch strikt getrennt. Er reduzierte den Menschen auf die res cogitans (die denkende Sache) und den Rest der Welt auf die res extensa (die ausgedehnte, räumliche Sache). Durch diese Trennung wurde der unbegrenzte Zugriff auf die Natur legitimiert, denn sie ist bloße Sache und Objekt des denkenden Subjekts. Indem der Mensch die Gesetze der Natur mit den entstehenden modernen Naturwissenschaften entschlüsselte, konnte er sie auch nach seinen Bedürfnissen bearbeiten. Der emanzipatorische Gehalt dieser Entwicklung war und ist enorm: »Der Mensch« wurde das, was einst Gott zugeschrieben war, zum Schöpfer der Natur. Allerdings droht in der Gattungsbezeichnung »Mensch« zu verschwinden, dass mit der strikten Trennung von Mensch und Natur Herrschaftsverhältnisse neu legitimiert werden können – wenn Frauen oder kolonialisierten Gesellschaften eine größere Nähe zur Natur unterstellt wird, werden sie zu Objekten.

In der Mensch-Natur-Dichotomie steckt, dass Natur menschlich gestaltet werden kann, diese Gestaltung aber unvermeidlich instrumentell ist und herrschaftsförmig vor sich geht. Bietet die Infragestellung dieser Mensch-Natur-Dichotomie einen Ausweg aus dem Subjekt-Objekt-Problem? Horkheimer und Adorno haben nicht nur beschrieben, wie radikal die Aufklärung die Trennung von Subjekt und Objekt durchführte und damit die Grundlagen für die Herrschaft von Menschen über Menschen und über die Natur legte, sondern in der Aufklärung auch Ansätze gesehen, dieses Verhältnis durch ein »Eingedenken der Natur im Subjekt« ganz anders zu gestalten.

Naturwissenschaftliche Definitionen von dem Menschen im Gegensatz zum Tier Zugeschriebenem werden ständig revidiert, egal ob es sich um die Fähigkeit zum Denken, zum Spiel oder der Entwicklung von Sprache handelt. Das liegt auch daran, dass sich die Grenzen dessen, was als »Natur« definiert wird, ständig verschieben. Donna Haraway zum Beispiel spricht von materiell-semiotischen Akteuren und kann so Konstruktionen von Natur betrachten, ohne deren Moment von Eigenständigkeit auszublenden. Sie entwickelt konkrete Formen nicht-herrschaftsförmigem Umgangs mit Tieren, Pflanzen und Ökosystemen. Poststrukturalistische Theorien plädieren für einen diskursiven Naturbegriff und gehen von einer Vielheit der Natur selbst aus; sie sprechen von Naturen, nature/cultures. Da Aussagen über die Natur immer an Ansprüche von Wissen gekoppelt sind und sich Wissen diskursiv durch Macht konstituiert, sei jeder Naturbegriff als Ausdruck von Wissen über Natur das Produkt eines Macht-Wissen-Diskurses. Die unvereinbaren Blöcke Natur und Kultur werden hier nicht durch ihre Versöh-nung aufgelöst werden, sondern durch die Vielzahl unterschiedlicher Praktiken, mittels derer Menschen mit ihrer Umwelt interagieren und mit nicht-menschlichem Handeln konfrontiert sind.

Eine reine Ideologiekritik der herrschenden Ökologiepolitik liefe Gefahr, die unerträglichen Lebensbedingungen an den verseuchten Kanälen von Manila oder die (neo-)kolonialen Wurzeln der Hungersnöte in der Sahelzone mitsamt den davon betroffenen Menschen auszublenden. Die jourfixe-initiative berlin will in dieser Veranstaltungsreihe diskutieren, ob und wie die ökologische Frage emanzipatorisch gestellt werden kann. Wird aus der Kritik der Natur des Kapitalismus eine kommunistische Ökologie?