Der Gedanke an eine bessere Gesellschaft war oft mit der Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise und der Weiterentwicklung der Produktivkräfte verbunden. In diesem Sinne bemerkte Asger Jorn, Maler und Mitglied der Situationistischen Internationale, launig, er mache schließlich keine Revolution, um arm zu werden. Doch der Umschlag der Produktivkräfte in Destruktivkräfte ist unabweisbar geworden. Der Kapitalismus hat es geschafft, seine zwei Voraussetzungen, Natur und Mensch, so in die Enge zu treiben, dass zwar nicht unmittelbar deren Existenz, doch deren Reproduktion gefährdet ist. Wie es scheint, unwiderruflich. Das Überschreiten ökologischer und sozialer Grenzen gehört zur Logik des Kapitalismus wie seine immer wiederkehrenden Krisen. Obwohl sich in den letzten Jahren die Erkenntnis verbreitet hat, dass das kapitalistische Wachstum auch den Kapitalismus selbst gefährdet, lautet die Antwort auf die aktuelle Wirtschaftskrise unverändert: Wachstum. Dagegen wollen wir auf dem Zusammenhang von ökonomischer, ökologischer und sozialer Krise des Kapitalismus beharren.
Die profitorientierte Produktionsweise erzwingt die Ausweitung der Akkumulation von Kapital. Der Akkumulationszwang ist die Triebkraft des Wirtschaftswachstums. Akkumulations- und Wachstumszwang sind folglich kapitalistischer Produktionsweise innewohnende Eigenschaften, die sich systemimmanent nicht abstellen lassen. Um den Wachstumszwang zu brechen, der die aktuellen ökonomischen, sozialen und ökologischen Krisen bedingt, sind der Austritt aus der Wertproduktion und die Entwicklung einer Gebrauchswertproduktion notwendig.
Die kapitalistische Produktionsweise hat etwas in der Menschheitsgeschichte ökologisch noch nie Dagewesenes eingeleitet. Bedingung ihrer zeitlich und örtlich ungebundenen Ausweitung war die Verbrennung der fossilen Energieträger Kohle, später Gas und Öl. Der mittlerweile offensichtlich gewordenen Begrenztheit dieser Energieträger und damit des „fossilen Kapitalismus“ steht die immer größer werdende Müllkippe in der Atmosphäre gegenüber, die unter anderem für den Treibhauseffekt verantwortlich ist. Die Grenzen des Ökosystems der Erde sind überschritten. Bekannt ist dies seit einigen Jahrzehnten für den Klimawandel, den Stickstoffkreislauf und die biologische Diversität. Weitere bevorstehende ökologische Brüche sind die chemische Verschmutzung, der stratosphärische Ozonmangel, der weltweite Frischwasserverbrauch, die veränderte Landnutzung, die atmosphärische Aerosolaufladung und die Übersäuerung der Ozeane.
Dieser Zusammenhang von Wertproduktion und der damit einhergehenden Zerstörung der Lebensgrundlagen ist Kritiker_innen des Kapitalismus seit langem vertraut. Einer der bekannteren von ihnen warnte schon frühzeitig: „Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größere Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist ist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z. B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozess. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Karl Marx 1864)
Gleichwohl gründet 150 Jahre später die gewerkschaftliche Strategie ihren Anspruch auf Partizipation am gesellschaftlichen Reichtum noch immer auf kapitalistisches Wachstum – als ginge es nur um eine Erhöhung des Wohlstands für alle. Sie bleibt damit selbst dort in einer politischen Defensive, wo der Wert der Ware Arbeitskraft seit Jahren permanent gesenkt wurde. Während die Löhne vielerorts stagnierten, wurde die Arbeit im Neoliberalismus in neuer Form intensiviert – die Forderungen der Arbeitskämpfe der 1970er Jahre, Autonomie, Kreativität, Selbstbestimmung, verkehrten sich so in Flexibilität, Individualisierung. Scheinselbständigkeit. Damit haben Burnout, Depressionen und andere Symptome der psychosozialen Zerstörung rapide zugenommen, übrig bleibt ein überfordertes Selbst. Nicht nur aufgrund der globalen Ökokrise muss der sozialdemokratischen Strategie der Teilhabe eine Diskussion um Bedürfnisproduktion im Kapitalismus entgegengestellt werden, wie sie schon in den 1960er-Jahren von André Gorz angeregt wurde: Was wollen wir wie produzieren? Welche Bedürfnisse erscheinen vor der kapitalistischen Bedürfnisproduktion als „berechtigt“? Inwiefern kann man von einer Entfremdung von Bedürfnissen und Arbeit reden? Was bedeutet ein besseres Leben, ein anderes Arbeiten? Und wie sehen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung in einer befreiten Gesellschaft aus?
Eine Kritik am Wachstum schließt angesichts erbärmlicher Lebensverhältnisse im Trikont das Recht auf Entwicklung keinesfalls aus. Aus emanzipatorischer Perspektive geht es darum, ein Konzept qualitativer Entwicklung vom kapitalistischen Wachstumsmodell zu entkoppeln – denn letzteres ist gegenüber den Folgen des Naturverbrauchs systembedingt blind. Zahlreiche Mahner, die vor der finalen Ökokrise warnen, malen die unwiederbringliche Zerstörung des Planeten an die Wand, als ob die öko-soziale Krise alle Menschen gleich beträfe. Doch auch in diesem Fall sind die zerstörerischen Folgen der kapitalistischen Produktionsweise regional und klassenspezifisch verteilt. Es stellt sich demnach die Frage, wer die sozialen Träger des Kampfes gegen die ökologischen Verwerfungen des Kapitalismus sind und ob die wachsende globale Naturzerstörung mit ihren sozialen Folgen nicht zu einer neuen Form der Klassenspaltung und einer Herausbildung eines „Umweltproletariats“ führt. Diese ökologische Klassenspaltung verläuft auch entlang der Grenze zwischen Metropolen und Peripherie, deren Bewohner_innen am stärksten von der weltweiten Naturzerstörung betroffen sind. Formieren sich hier neue bzw. aktualisierte postkoloniale Widerstandssubjekte, die eine emanzipatorische Gegenkraft zum aktuellen Kapitalismus und seiner systemimmanenten Wachstumsideologie bilden? Entsprechend geht es uns in der Diskussion der gegenwärtigen Krise um eine Erweiterung der Perspektive: Sie muss in den Kontext einer fundamentalen Krise sowohl der Ökologie als auch der Reproduktion gestellt werden, die mit den Existenzbedingungen des Kapitalismus auch diejenigen einer befreiten Gesellschaft grundsätzlich infrage stellt. Der globalisierte Kapitalismus kann schon lange nicht mehr als Voraussetzung für gesellschaftlichen Reichtum und sozia-le Befreiung betrachtet werden. Aus der Perspektive der Lohnabhängigen war jede kapitalistische Krise auch eine Krise der Reproduktion. Die Krise des aktuellen Akkumulationsregimes ist gekennzeichnet durch neue Schübe kapitalistischer Landnahme, beispielsweise durch Landgrabbing oder Privatisierung. Das neoliberale Projekt betrachtet sozialstaatliche Institutionen nicht mehr als notwendig, sondern unterwirft sie der Logik des Marktes, d. h. streichen und kürzen. Zugleich wurden jahrelang Kredite an Privathaushalte vergeben, die private Zahlungsfähigkeit massenhaft über ihre Grenzen erweitert und damit kapitalistisches Wachstum simuliert. In dem Moment, in dem die Immobilienblase platzte, wurden deshalb auch die Reproduktionsbedingungen ganzer Bevölkerungsschichten zur Disposition gestellt.
Die Krise sozialer Reproduktion ist immer auch eine Krise der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die aus der Unvereinbarkeit von Reproduktionsarbeit und Erwerbstätigkeit resultiert. Reproduktive Tätigkeiten werden weder sozialisiert bzw. verstaatlicht noch zwischen den Geschlechtern umverteilt, sondern meist von schlecht bezahlten Migrantinnen übernommen. Die Neuorganisierung der Reproduktion kann deswegen nur auf globaler Ebene erfasst werden. Die geschlechtliche Arbeitsteilung steht deswegen ebenso wie die Vielfalt der globalen Klassenzusammensetzungen im Zentrum einer zeitgemäßen Kapitalismuskritik.
Wenn von der ökonomischen Dimension der gegenwärtigen Krise gesprochen wird, darf die politische Dimension nicht außer Acht gelassen werden. Die staatliche Politik hat – weit davon entfernt durch „anonyme Finanzmärkte“ erpresst worden zu sein – die Bedingungen geschaffen, unter denen sich das gegenwärtige Akkumulationsregime entwickeln konnte. Daher sind die ökonomischen Zwänge ebenso politisch gewollt, wie sie zugleich die Möglichkeiten von Politik begrenzen. Letzteres wurde seit Beginn der Krise in Europa mehrfach demonstriert: Wahlen werden verschoben, sogenannte Expertenregierungen eingesetzt, deren Expertise darin besteht, die „ökonomischen Sachzwänge“ zu exekutieren. In dieser polit-ökonomischen Gemengelage verschärfen sich nicht nur Konflikte zwischen sozialen Klassen, sondern auch zwischen Kapitalfraktionen sowie zwischen Staaten. Obwohl das deutsche Kapital und der deutsche Staat die aktuelle Krise mit verursacht haben und von ihr profitieren, bleibt ihre Legitimität bislang unhinterfragt. Während im Süden Europas Revolten ausbrechen gegen die herrschende Krisenpolitik, herrscht in Deutschland immer noch trügerische Ruhe.
Der dagegen unabweisbar notwendigen Ruhestörung soll diese Veranstaltungsreihe dienen.