In Gespenst Subjekt geht es um die Bedingungen, unter denen emanzipatorisches kollektives Handeln überhaupt noch möglich erscheint. Dabei werden sowohl Phänomene eines allseits zu konstatierenden Konformismus und Essentialismus thematisiert, als auch nach Potenzialen und Spuren der Befreiung gefragt. Was unter den Bedingungen eines globalen Kapitalismus und nach den Erfahrungen von Kolonialismus, Faschismus und Antisemitismus überhaupt noch ein “Subjekt” sein kann, ist ebenso offen wie die Frage, was unter diesen Bedingungen “Politik” ist. In der Auseinandersetzung mit kritischen Theorien der Subjektivität, aber auch mit historischen und aktuellen Formen politischer Praxis wird versucht, nach dem möglichen Ort politischer Subjektivität in einer zugleich kontrollierten und deregulierten Welt zu fragen und nach ihrer Bedeutung für eine Praxis der Emanzipation und Befreiung.
Wer nach dem Subjekt sucht, begibt sich auf ein umkämpftes Feld. In diesem Kampf haben sich eine Vielzahl von konkurrierenden Begriffen von Subjekt herausgebildet. Sie reichen vom bürgerlichen, autonomen Subjekt, über die Vorstellung vom Subjekt als Ergebnis gesellschaftlich bewusstloser und unbewusster Praktiken, bis hin zu Vorstellungen eines differenten, begehrenden und flexiblen Subjekts, das sich aus der Dekonstruktion von Herrschaft selbst wieder hybrid zusammensetzt. Die Frage nach dem Subjekt zielt mittlerweile nicht mehr nur auf den Menschen selbst, sondern überschreitet die Grenzen zur Maschine und zur Natur.
In der Ideengeschichte der Linken wurden dem Subjekt allerlei Eigenschaften zugewiesen oder abgesprochen. Marx polemisierte in der 6. Feuerbachthese gegen die bürgerliche Idee eines transzendentalen und autonomen Subjekts. "Das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" (Marx. MEW 3, S. 6). Seine Emanzipationshoffnung begründete sich auf einen Prozess der kollektiven Bewusstwerdung des Proletariats als Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums. Das 20. Jahrhundert hat jedoch die Möglichkeit der Emanzipation grundlegend in Frage gestellt. Die Kritische Theorie reagierte auf diese gescheiterte Hoffnung, in dem sie durch eine Verbindung von historischem Materialismus und Psychoanalyse die Mechanismen aufzudecken versuchte, welche die politische in eine repressive Subjektivität umschlagen lassen. Die dabei zutage geförderten Tendenzen totaler Vergesellschaftung unterminierten schließlich die Hoffnung der Kritischen Theoretiker auf eine Rekonstruktion emanzipatorischer Subjektivität und drohten, das emanzipatorische Denken insgesamt in eine Aporie zu führen.
Herbert Marcuse, der die 68er Bewegung als einziger kritischer Theoretiker aktiv unterstützte, entwickelte als Versuch, aus dieser Aporie auszubrechen, die Theorie der "neuen Massenavantgarde". Diese Theorie zielte auf eine Ausweitung des kollektiven Subjektbegriffes auf die Ränder der Gesellschaft, auf die Subkulturen in den entwickelten Industrienationen und auf die Befreiungsbewegungen der Peripherie. Doch nicht nur am Rand der Gesellschaft, auch innerhalb der Subjekte gab es für Marcuse einen resistenten Rest, den er glaubte nur jenseits der gesellschaftlichen Verhältnisse in der menschlichen Natur zu finden. Insbesondere der Eros war in seinen Augen das letzte Bollwerk gegen die Totalität der herrschenden instrumentellen Vernunft. Marcuse betonte die politische Praxis für das kritische neomarxistische Denken. Daran knüpfen bis heute Theorien wie diejenige von Toni Negri und Michael Hardt an.
Eine objektive Bestimmung des emanzipatorischen politischen ist offenbar nicht nur historisch gescheitert, sondern auch theoretisch höchst problematisch. Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen sich Individuen trotzdem dazu entscheiden können, auf der Grundlage gemeinsamer Ideen, Analysen oder Interessen eine kollektive emanzipatorische Praxis zu entwickeln und damit zu politischen Subjekten werden können, ist jedoch, auch angesichts sich weltweit verschärfender sozialer und politischer Unterdrückung, dringlicher denn je. Individuelle "Entscheidungen" sind auch ein zentrales Element der neuen Formen des Kapitalismus. Die Flexibilisierung der Lebensläufe und die Deregulierung sozialer Rechte sind die aktuellen Leitbilder des Neoliberalismus. So geht das Subjekt vollends in der Idee des self managements auf. Jeder muss in den Beschäftigungsverhältnissen beweisen, dass er in der Lage ist, sich selbst am effektivsten zu verwerten und die Arbeit als kreatives Projekt zu verstehen, mit dem er sich zu identifizieren vermag. Mit den neuen Imperativen von Selbstverantwortung und Flexibilität enttarnt sich die individuelle Subjektivität als Zwang zum bedingungslosen Mitmachen.
Mit der Integration immer weiterer Bereiche des Individuums in den kapitalistischen Verwertungsprozess stellt sich die Frage, ob damit auch die Möglichkeit verschwindet, sich als Teil eines Kollektivs jenseits des Produktionsprozesses zu begreifen, und so der Ausbeutung seiner Arbeitskraft kollektiv entgegenzutreten, ohne dabei in klassische und überholte Politikmuster zurückzufallen. Das proletarische Freizeitvergnügen war nie nur billige Kompensation für die Maloche und Regeneration der Arbeitskraft, sondern stets auch die selbstverständliche Aneignung einer moralischen Ökonomie im Bewusstsein einer antagonistischen Gesellschaft. Wenn die sozialen Ressourcen dieser Ökonomie jedoch zunehmend zum notwendigen Einsatz der eigenen Verwertung werden, durchdringt der gesellschaftliche Antagonismus und die Biomacht die Individuen bis in den letzten Winkel. Der flexible Mensch des Neoliberalismus, dessen Subjektivität im Kontext von ökonomischer und politischer Herrschaft erst produziert wird, dient dann nicht als Antipode der Kapitalverwertung, sondern als deren Stützpunkt zur neuen Landnahme.
Für dieses Szenario hat Gilles Deleuze die Theorie der Kontrollgesellschaft entwickelt. In diese fügen sich die Individuen durch Selbstregulierung und Anpassung ein. Deleuze hat aber andererseits die Idee eines pluralen Menschen ins Spiel gebracht, der durch sein Denken und Handeln ständig im Werden begriffen ist. Er hat die Marx´sche Vorstellung der Geschichte als einer Abfolge von Klassenkämpfen am radikalsten in sein Denken über das Subjekt einfließen lassen. Deleuze zufolge beharrt das Subjekt auf seiner Existenz, doch keiner weiß, wo es zu finden ist, es ist ein Subjekt des Werdens, unentschieden und ohne fixe Identität, dezentriert. Der weltweit agierende Kapitalismus und die Staatsapparate produzieren ständig Fluchtlinien, die auf der "glatten Oberfläche" der Kapitalverwertung Brüche, Bedürfnisse und Subjektkonstitutionen fabrizieren, die über den Kapitalismus hinausweisen können. Kann man aber darauf vertrauen, dass sich Gegenströmungen schon immer und überall bilden, zusammenfinden und quasi automatisch über die kapitalistische Verwertung und Vergesellschaftung hinausweisen?
Die Linke in den Metropolen hat auf den Verfall der Arbeiterbewegung in Sozialdemokratie und Stalinismus und auf das Scheitern des Versuches der 68er-Revolte mit der Suche nach politischer Subjektivität jenseits der traditionellen Pfade reagiert. Dies hat ein Spektrum von Identitätsbildungen hervorgebracht, die sich dem Konformitätsdruck einer einheitlichen Subjektivität widersetzen. Aus ihrer Funktion als Rückzugsorte, an denen sich das Subjekt einzunisten versucht, um nicht auf der Strecke zu bleiben, ergibt sich gleichermaßen die Legitimation wie die Problematik von Identitäten. Dass das Subjekt vielfältig ist, macht es vielleicht tolerant und weltoffen, zu fragen wäre aber, ob es in der Lage ist, solidarische Beziehungen gegenüber den alltäglichen Zumutungen des Kapitalismus einzugehen.
In den Postcolonial Studies wird das Wider-Erfinden einer eigenen Identität als politische Strategie der Subalternen gesehen, die im westlichen Diskurs nicht als Subjekte vorkommen, und damit als eine Möglichkeit, sich gegen den herrschenden Diskurs selbst zu definieren. Gegen die identitäre Zwangslogik des westlichen Denkens, der die Anderen, ihre Alterität und ihre Differenz verneint, kann eine solche Gegenidentität durchaus ein emanzipatives Moment besitzen. Zugleich aber besteht dabei die Gefahr, dass bei einer solchen Selbstkonstruktion von Identitäten neue Essentialismen geschaffen, damit Herrschaft aber nur zementiert wird. Ob ein nicht-essentialistischer Identitätsbegriff überhaupt möglich ist, ist eine offene Frage. Der Kampf um die Wiedergewinnung politischer Subjektivität, dies zeigen manche historische und aktuelle "Befreiungsbewegungen" deutlich, verfolgt nicht in jedem Fall ein emanzipatorisches Ziel.
Die poststrukturalistische Theorie des fragmentierten Subjekts hat versucht, die Auflösung kollektiver Identitäten als eine Fluchtlinie zu interpretieren, die über ökonomische Disziplinierungen und politische Repräsentationen hinausweist. Sie begegnete dieser Fragmentierung mit der anti-psychiatrischen Feier der Partialtriebe. Im Gegensatz dazu war der Kritischen Theorie zufolge der Totalität von Herrschaft nicht durch das immer neue Zusammensetzen von Identitäten zu entkommen, sondern durch die Überwindung von Identität auf der Grundlage von Ich-Stärke. Die Erfahrung der Shoah hatte Horkheimer und Adorno gezeigt, das die Herstellung von Identität sehr wohl die Vernichtung der Subjektivität bedeuten konnte. Deshalb war für sie auch nach 1945 die Herausbildung kollektiver Subjektivität immer konformistisch konnotiert. Vielleicht lassen sich aber im Anschluss an Walter Benjamin Elemente einer Theorie politischer Subjektivität entwickeln, die auf den Erfahrungen der Besiegten und der Erinnerung daran aufbaut, und die damit eine kollektive und solidarische Subjektivität ist, gerade weil sie Auschwitz immer mitdenkt.
Wenn wir uns nach einer ersten Bestandsaufnahme der "Klassen und Kämpfe" in dieser Vortragsreihe mit den vielfältigen Vorstellungen über das Subjekt auseinandersetzen wollen, begeben wir uns nicht auf die Suche nach einem objektiven Kern der Subjektivität, der als Einspruch gegen die Warenförmigkeit und verschüttete Plattform des Widerstands gegen die heutigen Zumutungen der Kapitalverwertung dienen kann. Vielmehr geht es uns um die Bedingungen, unter denen emanzipatorisches kollektives Handeln überhaupt noch möglich erscheint. Dabei wollen wir sowohl Phänomene eines allseits zu konstatierenden Konformismus und Essentialismus thematisieren, als auch nach Potenzialen und Spuren der Befreiung fragen. Was unter den Bedingungen eines globalen Kapitalismus und nach den Erfahrungen von Kolonialismus, Faschismus und Antisemitismus überhaupt noch ein "Subjekt" sein kann, ist ebenso offen wie die Frage, was unter diesen Bedingungen "Politik" ist. In der Auseinandersetzung mit kritischen Theorien der Subjektivität, aber auch mit historischen und aktuellen Formen politischer Praxis möchten wir versuchen, nach dem möglichen Ort politischer Subjektivität in einer zugleich kontrollierten und deregulierten Welt zu fragen und nach ihrer Bedeutung für eine Praxis der Emanzipation und Befreiung.