Angesichts der Notwendigkeit die Welt zu verändern, sind es nicht zuletzt ihre Kriege, die uns dazu zwingen, die Wege der Veränderung radikal neu zu denken. Die traditionellen Kategorien, mit denen auch die Linke Kriege betrachtete, scheinen nicht mehr die Auflösungen der Grenzen zwischen außen und innen, die Grauzonen zwischen Kombattanten und Zivilisten, Krieg, Revolution und Bürgerkrieg, zwischen Ausnahme- und Normalzustand erfassen zu können. Deutet Benjamins Bild, dass die Revolution nicht mehr die Lokomotive, sondern die Notbremse der Geschichte ist, darauf hin, dass die Linke unserer Zeit keine revolutionären Kriege mehr beginnen, sondern nur Verteidigungskriege führen kann?

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die „Neue Weltordnung“, die uneingeschränkte Herrschaft des Kapitalismus, deklariert. Kriege der westlichen Mächte gelten nach dieser Ideologie als „Polizeiaktionen“, als „schnelle Interventionen“, die nicht mehr im Namen nationaler Interessen, sondern der Humanität erfolgen. Der kapitalistische Weltstaat, zum „Ende der Geschichte“ erklärt, ist seinem Anspruch nach eine totale Macht, die kein Außen mehr kennt und sich auf einen riesigen Militär- und Polizeiapparat stützt. Der ausgerufene kapitalistische Weltfrieden ist vom ewigen Krieg durchzogen.

Seit dem Kosovokrieg 1999 sind Kriegseinsätze wieder eine Realität deutscher Außenpolitik. Als Legitimation dient die Konstruktion eines vielgesichtigen „Bösen“, das weltweit die Zivilisation bedroht. So versteht man sich als Kämpfer gegen die Barbarei und als Heilsbringer von Zivilisation, Demokratie und Fortschritt. Das von Verteidigungsminister Franz Josef Jung initiierte, zentrale „Ehrenmal“ für die getöteten Soldaten der Bundeswehr ist ein Symbol dieser Normalisierung deutscher Militärgewalt: Es soll in Deutschland wieder ehrenvoll sein, in den Krieg zu ziehen und zu sterben.

Auf eine grundlegende Metamorphose des Krieges hat 1997 Subcommandante Marcos mit seiner Behauptung hingewiesen, die Welt befände sich nach 1989 in einem nicht erklärten Vierten Weltkrieg. Marcos definierte damit die „Neue Weltordnung“ als Kriegszustand, die schon vor zehn Jahren durch zahlreiche bewaffnete Konflikte von oft entgrenzter Gewalttätigkeit geprägt wurde, wie auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Tschetschenien, Afghanistan, Ruanda, Somalia, Kongo, Pakistan, Bengalen, im chronischen Bürgerkrieg in Kolumbien oder in den so genannten Religionskriegen wie in Indien und Indonesien. Die traditionellen Kategorien, mit denen auch die Linke Kriege betrachtete, scheinen nicht mehr die Auflösungen der Grenzen zwischen außen und innen, die Grauzonen zwischen Kombattanten und Zivilisten, Krieg, Revolution und Bürgerkrieg, zwischen Ausnahme- und Normalzustand erfassen zu können.

Während Clausewitz den Krieg noch als die Fortsetzung der Politik eingrenzte, politisierte Foucault den Kriegsbegriff: Mit der Moderne stelle die Politik, die Zivilordnung, selbst ein Kampffeld der Macht dar. Ist für Clausewitz der Krieg noch eingehegt in der Ausnahme, so dass die Aufklärung noch auf den „ewigen Frieden“ hoffen konnte, beschreibt Foucault die Moderne als einen permanenten Ausnahmezustand: Ein ununterbrochener Kampf um die Macht durchzieht den Frieden.

Die Ablösung der absolutistischen Kriege durch den Volkskrieg der französischen Republik beinhaltete für Engels die Hoffnung auf die Bewaffnung und Ermächtigung des Proletariats, seine revolutionäre historische Aufgabe zu verwirklichen. Doch seine Erwartung einer Emanzipation durch die bewaffneten Massen wurde enttäuscht. Die These der klassischen marxistischen Theorie, dass die Gewalt die Geburtshelferin der Geschichte ist, ist angesichts der Zerstörungen des 20. Jahrhunderts fragwürdig geworden. Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus führten zum mechanisierten, massenhaften Morden in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs und zum Vernichtungskrieg der Deutschen Wehrmacht. Im Zweiten Weltkrieg waren die Alliierten zwar die Befreier vom Nationalsozialismus und Faschismus, doch dienten weder die stalinistische Sowjetunion noch die imperialistischen Westalliierten als emanzipatorische gesellschaftliche Alternative. Nach dem Jahrhundert der Niederlagen und Ruinen ist es nicht einfacher geworden, sich in der Welt zurechtzufinden. Im Gegensatz zu den Kriegen und Bürgerkriegen des 20. Jahrhunderts lassen sich in den heutigen Konflikten kaum noch emanzipatorische Kräfte finden, denen man sich solidarisch verbunden fühlt.

Die Entkolonialisierungskriege des 20. Jahrhunderts sollten die koloniale Ordnung gewaltsam umstürzen und die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Frantz Fanon erwartete von der gewaltsamen Rebellion, dass die Kolonialisierten die rassistische Fremdzuschreibung der Kolonialherren abstreifen und sich als Subjekte konstituieren. Die mit den Befreiungsbewegungen des Trikonts verbundenen sozialrevolutionären Hoffnungen sind häufig nicht in Erfüllung gegangen. Nach erfolgreichen Entkolonialisierungskriegen wie in Algerien kam der gesellschaftliche Thermidor oder die Restauration der kapitalistischen Ausbeutung wie in China. Die militärischen Strukturen und autoritären Ordnungsprinzipien obsiegten über die revolutionären gesellschaftlichen Perspektiven. Doch angesichts der kolonialen Grausamkeiten schien es für die „Verdammten dieser Erde“ kaum Alternativen zu geben, als sich in einem bewaffneten Aufstand vom kolonialen Joch zu befreien und den bestehenden Gewaltverhältnissen ein Ende zu setzen.

Auch Benjamins Kritik der Gewalt zielt auf die Beendigung der herrschenden Gewaltverhältnisse. Alleine der „wahre Ausnahmezustand“, die Revolution, vermag das historische Kontinuum der Gewalt aufzusprengen. Der „wahre Frieden“ ist nicht die Sanktionierung des Sieges, die den Krieg nur ins Unendliche fortschreibt, sondern die wirkliche „materialistische Erlösung“ des Menschen und das Ende seiner Vorgeschichte.

Der Globalisierungsdiskurs prognostizierte den Untergang der Nationalstaaten. Die wirtschaftspolitischen Normen des Neoliberalismus, Privatisierung und Deregulierung, beschneiden zusehends die regulierende Macht der Staaten. Auch der Diskurs über die Umsetzung internationaler Menschrechte stellt die Bindung zwischen Bürgerrechten und Nationalstaat infrage und setzt der Herrschaft des Nationalstaats über sein Territorium Grenzen. Doch daraus sind keine neuen, machtvollen Subjekte internationalen Rechts entstanden, sondern ein neues Legitimationsmuster für den Souverän, Krieg zu führen. Unter dem Banner der Menschenrechte zieht der Westen gegen die so genannten Schurkenstaaten in den Krieg, die aufgrund ihrer Verstöße gegen die Menschenrechte bestraft werden. Besonders nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 ist eine Stärkung nationalstaatlicher Souveränität in Form von repressiver Gewalt zu beobachten.

In weiten Teilen der Peripherie scheint der offene oder latente Bürgerkrieg zum Dauerzustand geworden zu sein. Er bildet dort zusehends die ökonomischen Grundlage und strukturiert die gesellschaftlichen wie auch die persönlichen Beziehungen. In den Slums, an den Grenzen des Westens und in den neuen Ghettos an den Rändern der westlichen Metropolen sammeln sich die für die kapitalistische Verwertung „Überflüssigen“. In diesen „ortlosen Orten“, wie den Flüchtlingslagern an den EU-Außengrenzen, werden die Ausgeschlossenen auf das „nackte Leben“ reduziert. Als wahrhaft Gesetzlose entbehren diese modernen „Parias“ rechtlichen Schutz und sind der repressiven Staatsgewalt ausgeliefert.

Während das Versprechen auf Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum für einen wachsenden Teil der Menschheit suspendiert wird, stellt in den westlichen Ländern die Sicherheit der körperlichen Unversehrtheit das neue Legitimationsfeld des Staates dar. Der Sicherheitsstaat löst den Wohlfahrtsstaat ab, seine Grundlage ist die permanente Produktion einer „offiziellen Furcht“. Die „Große Furcht“ der französische Revolution – als die Jakobiner die junge Republik gegen die Konterrevolution von innen wie von außen durch Terror verteidigen wollten – erscheint in einer neuen Form. Im „War on Terror“ soll die globale Herrschaft des kapitalistischen Marktes durchgesetzt werden. Der abzuwehrende „Feind“ droht nicht mehr in erster Linie von außen, sondern ist ein auszuspähender Teil des zu schützenden Inneren.

Im Sicherheitsdiskurs wird der Kriegszustand zum Normalzustand. Jede militärische Strategie unterscheidet sich aber von anderen Herrschaftsstrategien durch ihr direktes Verhältnis zu Zerstörung und Tod. Im Krieg sind Verletzung, Leiden, Qualen und Sterben allgegenwärtig. Deshalb ist die Haltung zum Krieg schon lange ein Prüfstein für die Linke. Vor ihrem Engagement im Spanischen Bürgerkrieg schrieb Simone Weill, dass der Polizei- und Militärapparat der Hauptfeind bleibe und die Unterordnung unter diesen Apparat alle menschlichen Werte zerstöre. Diese radikale antimilitaristische Auffassung, die den Krieg für das größte Verbrechen erklärt, hat angesichts zahlloser Kriege in den vergangenen Jahrzehnten nichts von seiner Aktualität eingebüßt.

Dennoch hinterfragt die gesellschaftliche Debatte über den Krieg kaum noch, was Krieg eigentlich ist, welche Gründe er hat und in welcher Form sich die psychischen und physischen Wirkungen der kriegerischen Gewalt in der Gesellschaft und den Individuen manifestieren. Immer wieder ziehen Menschen in den Krieg, manche sogar freiwillig, obgleich sie kaum etwas zu gewinnen, aber alles zu verlieren haben. Delegitimierten in der Vergangenheit kritische Medien und Künstler die herrschende Kriegsideologie, indem sie das leidvolle „Gesicht des Krieges“ zeigten, so hat heute der antimilitaristische Widerstand angesichts der Ideologie des „ethischen Krieges“ kaum mehr eine politische Wirkung.

Mit unserer Veranstaltungsreihe fragen wir auch, was aus der revolutionären Gewalt als Mittel zur emanzipatorischen Veränderung der Welt geworden ist. Kann es überhaupt erfolgreiche Revolten ohne Gewaltanwendung geben? Ist eine gewaltsame Emanzipation überhaupt denkbar? Oder gehört die Vorstellung einer Guerilla, in der der „neue Mensch“ im bewaffneten Aufstand aufscheint, zu den linken Mythen? Deutet Benjamins Bild, dass die Revolution nicht mehr die Lokomotive, sondern die Notbremse der Geschichte ist, darauf hin, dass die Linke unserer Zeit keine revolutionären Kriege mehr beginnen, sondern nur Verteidigungskriege führen kann? Angesichts der Notwendigkeit die Welt zu verändern, sind es nicht zuletzt ihre Kriege, die uns dazu zwingen, die Wege der Veränderung radikal neu zu denken.