Und du weißt es wird passieren (Doch! Nee!), wenn wir uns organisieren. Ton, Stein, Scherben
Die seit der Französischen Revolution existierende politische Linke hat verschiedenste Organisierungsversuche unternommen, ohne eine von Ausbeutung und Herrschaft befreite Gesellschaft zu erreichen. Wir gehen nicht davon aus, dass dies allein daran liegt, dass das richtige Organisierungsmodell noch nicht gefunden wurde.
Gleichwohl mangelt es der politischen Linken auch heute an einem oder mehreren Organisierungsmodellen, die nicht nur in der Lage wären, die Angriffe des globalisierten Kapitalismus abzuwehren und die linken Kräfte zu sammeln, sondern auch die Realisierung einer befreiten Gesellschaft zu ermöglichen.
Dabei hat die Frage der Organisierung eine in den letzten zwanzig Jahren ungekannte Relevanz erhalten. Weltweit finden Aufstände und Revolten gegen neoliberale Zumutungen und politische Ordnungen statt, seien es repräsentative Systeme oder diktatorische Regime. In Tunesien, Ägypten, Griechenland und Brasilien scheint die Revolte ungebrochen, auch wenn sie zuweilen unterbrochen und gekontert wird, bis hin zum Erstarken islamistischer und faschistischer Organisationen wie z. B. der Muslimbrüder oder der Goldenen Morgenröte. In der globalen Krise des kapitalistischen Verwertungssystems entstehen in diesen Gesellschaften zahlreiche selbstorganisierte Strukturen vom Tauschmarkt bis zur Gesundheitsversorgung, von der Platzbesetzung bis zur Parteigründung.
Uns interessiert vor allem, ob diese Strukturen in Richtung einer befreiten Gesellschaft weisen. Marginalisierte organisieren sich, um auf sehr unterschiedliche Weise ihr Leben zu verbessern, und stellen so neue kollektive und solidarische Beziehungen her. Einerseits lässt sich fragen, ob diese neue Selbstverwaltung der Marginalisierten nicht in erster Linie eine neue kostengünstige Form der Armutsverwaltung der, vom Kapital aus betrachtet, „Überflüssigen“ darstellt: Kommunitarismus für Arme. Andererseits verändern diese Marginalisierten ohne feste politische Strukturen, Parolen und Anführer ihre sozialen Beziehungen und leisten damit etwas, das die eigentliche Aufgabe revolutionärer Bewegungen darstellt.
Bei aller Freude über die entstehende Selbstorganisierung, die diese Revolten erst möglich gemacht hat, stellt sich jedoch auch die Frage nach der Verstetigung und Ausdehnung dieser Bewegungen und vor allem nach der Überwindung kapitalistischer Herrschaft. Dass nicht nur Revolten, sondern auch Revolutionen, nicht nur ein Austausch von Regierungen, sondern auch eine Umwälzung der gesellschaftlichen Zustände möglich sind, hat die Geschichte mehrfach gezeigt. Sie hat aber auch gezeigt, dass eine siegreiche Revolution am Ziel der Emanzipation scheitern kann.
Auf die Spaltung der Ersten Internationale und die blutige Niederschlagung der Pariser Kommune, auf die sich nach wie vor alle Linken positiv beziehen, selbst wenn sie ihre eigene Geschichte Lügen straft, folgte eine Reihe von zunächst siegreichen Aufständen, die dann aus eigener Verantwortung zu gescheiterten Revolutionen wurden, sowie zahlreiche Niederlagen, die nicht allein, aber auch mit der Frage der Organisierung zusammenhängen. Deshalb fangen wir nicht von vorne an, sondern stecken mitten drin.
Dabei vermittelt die historische Erfahrung der linken Organisierung uns auch Erkenntnisse, die als Warnungen zu verstehen sind. Das Wissen um die Fehler, welche die Befreiungsversuche unserer geknechteten Vorfahren scheitern ließen, sollte uns in Zukunft vor ihrer Wiederholung bewahren. Denn eine politische Organisierung hat immer Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der aktuellen Revolten und Revolutionen. Entscheidend ist, ob in ihr die Bilder und Formen einer zukünftigen Gesellschaft bereits aufscheinen.
Die aktuelle Krise ist nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Politikkrise. Soziale Bewegungen wie M15 oder Occupy drücken ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Prinzip der Repräsentation, zunächst in den klassischen demokratischen Institutionen, aus. Möglicherweise liegt dem eine Zunahme der Spannungen zwischen Demokratie und Kapitalismus zugrunde, die durch die Kündigung des fordistischen Klassenkompromisses von oben verursacht wird. Die Kritik der Repräsentation wird von den neuen Bewegungen aber auch – etwa durch den Verzicht auf Führungsfiguren – auf die eigenen Organisationsformen ausgedehnt. Dem antidemokratischen Potential traditioneller linker Organisationen, das sich immer wieder in Parteien und Gewerkschaften offenbarte, begegnet die Occupy-Bewegung mit ostentativer Negierung von Repräsentation, Anführerschaft und Programmatik. Doch bleibt die Frage nach politischer Verstetigung der mannigfachen emanzipatorischen Erfahrungen der Subjekte im Zuccotti Park und anderswo. Der Widerstreit zwischen politisch schlagfertiger Organisierung und interner Demokratie bleibt bestehen.
Obgleich wir eine Krise der Repräsentationen erleben, existieren innerhalb der Linken bzw. radikalen Linken nach wie vor Versuche, sich klassischer Politikformen zu bedienen bzw. diese wieder neu zu begründen. Diese Ebene wollen wir hinter uns lassen und uns mit dieser Reihe der zentralen Frage widmen: Welche Organisierung kann eine emanzipatorische Gesellschaft vorantreiben und die Keimform einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft werden?
Verstehen wir unter Organisierung politische Formierungen, die dem neoliberalen Kapitalismus wirksam entgegentreten, soziale Errungenschaften erkämpfen bzw. verteidigen und letztendlich den Bruch mit dem kapitalistischen System wagen, also Vorbereitungen für den großen Sprung darstellen? Oder geht es um eine emanzipatorische Veränderung des Alltags, des Zusammenlebens, des Arbeitens und der Konstitution der Subjekte, kurz, um eine Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse von unten? Lassen sich in diesem Sinne Commons als eine Form der Selbstorganisierung verstehen, die in der Gegenwart schon ansatzweise die emanzipatorische Gesellschaft praktiziert?
Oder handelt es sich bei dieser Gegenüberstellung um eine falsche Alternative? Uns ist bewusst, dass sich diese wichtige Frage nicht formal beantworten lässt, da es keine Organisierungsform gibt und geben kann, die für alle politischen Situationen an allen Orten taugt. Revolutionen können sich nicht darauf beschränken, Regierungspaläste zu erstürmen, wollen sie ihrem Namen zur Ehre gereichen, sondern sind lange und schwierige Prozesse, in denen die Verfügungsgewalt über die von allen geteilten Lebensbedingungen an alle übergehen soll.In diesen Prozessen spielt die Frage der Demokratie und der Pluralität eine zentrale Rolle. Die Russische Revolution ist unter anderem daran gescheitert, dass eine zentrale politische Organisation, die Bolschewiki, alle anderen politischen Gruppen, der Linken und radikalen Linken inklusive, ausgegrenzt, verboten und verfolgt hat. Die Revolution, die sie damit angeblich retten wollten, wandte sich schließlich auch gegen sie. Eine Linke wird pluralistisch oder sie wird nicht sein – nur so kann sie eine eindimensionale, autoritäre und auf Hierarchien basierende Gesellschaft überwinden. Dass Demokratie auch Risiken beinhaltet, gerade in Übergangsphasen, ist ein nicht zu leugnendes Problem, das historisch häufig mit Militarisierung der Revolution und Gewalt beantwortet, aber nicht gelöst wurde. Die Herstellung einer kulturellen Hegemonie innerhalb der Bevölkerung ist eine der notwendigen Voraussetzungen für jedwede emanzipatorische gesellschaftliche Veränderung und kann nur von pluralen, differenzierten und heterogenen linken Organisationen geleistet werden, in denen die Menschen wahlverwandtschaftlich und solidarisch agieren.
Die internationale Bewegung im Mai und Juni 1968, die in der Tschechoslowakei und Frankreich zu vorrevolutionären Situationen geführt hat, war insgesamt von einer solidarischen und demokratischen Linken geprägt. Während diese in der ČSSR militärisch niedergeschlagen wurde, wurde sie in Frankreich nach einem fast zweimonatigen Generalstreik von einer Einheit der Gewerkschaftsbürokratien, der institutionellen Linken und der bürgerlichen Rechten politisch besiegt. Sie vermochte es in Frankreich nicht, der Mehrheit eine politische Alternative zum bestehenden System schmackhaft zu machen und eine politische Organisierung zustande zu bringen, die die institutionelle Linke hätte herausfordern können. Die Demokratisierung von Bewegungen reicht nicht aus, um eine politische Auseinandersetzung zu gewinnen, obgleich sie eine wesentliche Voraussetzung dafür ist. Aktuelle Organisationsformen, wie die allseits beliebten Zapatisten in Mexiko, haben aus der Erfahrung der Niederschlagung der 68er Revolte in Mexiko die Konsequenz gezogen, von ihren Demokratieforderungen an sich selbst nicht zurückzutreten, sich allerdings als „Zapatistische Armee“ zu gründen, im Wissen darum, dass die Macht ihre Gegner_innen nie vergisst. Darin besteht das Dilemma linker Organisierung.
Der Wunsch nach einer weltweiten Organisierung der Linken außerhalb der ausgetretenen institutionellen Pfade betrifft auch neue gewerkschaftliche länderübergreifende Aktions- und Organisierungsformen. Diese werden lebensnotwendig, wenn die Menschen nicht im neoliberalen Elend versinken wollen. In welcher Verbindung diese notwendigen, möglichen und realen Kampfformen mit anderen Formen der Selbstorganisierung stehen, soll ebenfalls Thema der Veranstaltungsreihe werden.
Unsere Veranstaltungsreihe zieht ein Resümee der linken Organisationsformen, betrachtet den politischen und transformatorischen Aspekt der solidarischen Ökonomie exemplarisch in Griechenland und diskutiert das Verhältnis von sozialen Bewegungen und Organisierung.